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Editorial

Jenseits der Zahlen

Gemäss ProCinema sind die Kinos wieder im Aufschwung: 2023 verzeichneten sie mit mehr als 10 Millionen Eintritten schweizweit eine Zunahme von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Zahlen sind gewiss noch immer einiges tiefer als vor der Corona-Pandemie. Doch das Kino ist längst nicht tot, sondern bietet in einer Zeit der humanitären Krisen und Kriege vielmehr eine wohltuende Atempause. Gemäss den neusten Statistiken ist «Bon Schuur Ticino» von Peter Luisi in die Top 10 der beliebtesten Schweizer Filme seit 1976 aufgerückt. Anfang März konnte er schweizweit nahezu 339’000 Eintritte verbuchen und verdrängte den letzten Kassenschlager der jüngsten Zeit, «Platzspitzbaby» von Pierre Monnard. Obwohl er nicht auf einem Roman oder einer wahren Geschichte beruht, war der Film von Luisi dank seiner humoristischen Darstellung der Sprachbarrieren ein grosser Erfolg. Auch andere Werke kamen beim Publikum sehr gut an, und es ist keine Seltenheit mehr, dass in Programm- oder Multiplexkinos die Säle bis auf den letzten Platz besetzt sind.

Dies ist vielleicht weniger ein Etappensieg der Kinobetreiber und -betreiberinnen oder der gesamten Branche, sondern vielmehr das Ergebnis eines hartnäckigen Kampfes gegen widrige Umstände. Die Renovierungs- und Ausbauarbeiten im Capitol in Lausanne, dem grössten Kino der Schweiz, sind endlich abgeschlossen, so dass es nun zum neuen Aushängeschild der Cinémathèque suisse werden kann. Zum Eröffnungswochenende im Februar strömte das Publikum zahlreich herbei und machte es zu einem vollen Erfolg. Bemerkenswert ist auch, dass bereits vor Beginn der Vorstellungen im Rahmen der «Rencontres du 7e Art» in diesem Kinojuwel nahezu 9000 Eintritte online verkauft wurden – mehr als im ganzen letzten Jahr. In wenigen Wochen geht das Festival Visions du Réel in Nyon an den Start, und es wird auf seine Weise bestimmt auch von dieser positiven Stimmung profitieren. Obwohl die Fortschritte im Bereich der VR-Helme und der künstlichen Intelligenz derzeit heiss diskutiert werden, hat das kollektive Erlebnis offenbar noch lange nicht ausgedient.

Kino erreicht die Menschen über Emotionen. Bei aller Sorge vieler, dass die Maschine einmal, oder bald, den Fachmann oder die Fachfrau, den Künstler oder die Künstlerin, ersetzen könnte, ist man sich bisher doch einig, dass ein emotional berührendes Werk nur der Mensch erschaffen kann. KI kann Prozesse vereinfachen, günstiger machen, sicher. KI kann aber auch die Filmerfahrung erweitern, ein neues Publikum mit anderen Bedürfnissen berücksichtigen. An der Hochschule für Fernsehen und Film in München forscht man gerade an der Möglichkeit, Filmmusik für hörgeschädigte Personen erfahrbar zu machen. Wie kann man Rhythmus und Stimmung übersetzen? Damit man sich solcher Fragestellungen überhaupt bewusst wird, darf man das kollektive Erlebnis im Kino nicht aufgeben. Erst da zeigt sich die Heterogenität des Publikums. Und, man kann einmal mehr betonen, trotz aller Gefahr, sentimental zu wirken, dass Kultur eine der effektivsten und bereicherndsten Formen des gesellschaftlichen Zusammenhalts darstellt. Sieht man sich um, wird dieser dringend gebraucht.

 

Adrien Kuenzy und Teresa Vena
Chefredaktion

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